Allianzen und kulturelle Nachbarschaft. Untersuchungen zum Wandel von Kontaktsituationen in Südäthiopien
Das in einer Region vorzufindende Netzwerk kultureller Nachbarschaften
und Allianzen ist nur historisch zu verstehen und unterliegt immer
wieder externen Einflüssen, die das Verhältnis zwischen den
Kontaktpartnern verändern. In der ersten Phase des Teilprojekts C7
(damals E 2) ging es um Bestandaufnahme, Typologie, Analyse und
Beschreibung ausgewählter Beispiele von Kontaktdyaden in Äthiopien,
sowie um die Untersuchung einzelner Faktoren, die bei Herausbildung,
Bestehen und Wandel kulturspezifischen Selbstwertgefühls wirksam sind.
Mithilfe der Höflichkeitstheorie (Brown/Levinson 1978, Strecker 1988)
wurde am Beispiel von Südäthiopien untersucht, wie kultureller Kontakt
das 'Gesicht' von Kontaktpartnern bedrohen und das kulturelle
Selbstwertgefühl und die Identität der Beteiligten beeinflussen kann.
Der Sammelband "The Perils of Face. Essays on Cultural Contact, Respect
and Self-Esteem in Southern Ethiopia" (Strecker 2005, Lit-Verlag) gibt
über die Ergebnisse Auskunft.
Die Arbeit der letzten Antragsphase ließ überdies deutlich erkennen,
dass kulturelle Kontakte von Erfahrungen der Kontinuität räumlicher und
kultureller Nähe geprägt sind. Diese "zeitgeographische" Dimension
(Giddens 1992:170) wird im gegenwärtigen Forschungsvorhaben unter dem
Begriff der kulturellen Nachbarschaft näher untersucht. Dabei
thematisiert die Projektgruppe besonders die Kultivierung friedlicher
Kontakte (Kulturelle Nachbarschaft und Allianzen) zwischen den in Phase
1 identifizierten und näher untersuchten Kontaktpartnern.
Die sich aus den nachbarschaftlichen Verhältnissen ergebenden "starken
Beziehungen" schließen sowohl die Kultivierung gegenseitiger Begegnung
als auch Meidung ein. Mit anderen Worten, die Kulturnachbarn bemühen
sich um vorhersehbare und verbindliche Haltungs- und Handlungsmuster,
denn der Rivale kann, wenn nicht zum Alliierten, auch zum Feind werden.
An diesem Punkt kommt das begriffliche Instrument der Allianz zum
Tragen, denn anhand dieses Begriffs wird Kontaktverhalten als
strategisches Handeln analysierbar. Allianzen umfassen so
unterschiedliche Bereiche wie Verwandtschaft, Wirtschaft, Religion und
Politik und werden gebildet um "die eigene Basis zu erweitern" (Gudeman
2001), sich "zu versichern" (Oppitz 1988) und durch die Herstellung
weit gespannter solidarischer Beziehungsnetze nicht nur Risiken zu
mindern, sondern auch Einfluss auszuweiten (Schlee 1989, 1997).
Wie bereits in der vorangegangenen, zählt auch in dieser Projektphase
Friedensstiftung als Form intensivierten Kulturkontakts zu den
zentralen Themen von E.2 (siehe den Film „Bury the Spear“). Die
zentrale Frage ist, wie in Prozessen der Friedensstiftung ein
Verständnis für die besonderen kulturellen Gegebenheiten und Sachzwänge
des Anderen entwickelt wird und Wege des Ausgleichs gefunden werden,
ohne dass eine Seite ihre Identität und Autonomie aufgeben muss. Die
Ergebnisse der zweiten Phase sollen in einem Sammelband mit dem Titel
"Modalities of Cultural Neighbourhood" vorgelegt werden.
Ziel der letzten Forschungsphase (2006-2008) ist es, unter dem Aspekt
der Innovation Forschungen durchzuführen, welche die bisherige Analyse
kultureller Kontakte in Südäthiopien zu einem Abschluss bringen. Das
Teilprojekt C7 versteht Innovation als Kontaktphänomen. In der
kommenden Antragsphase soll nicht nur beispielhaft ermittelt werden,
welche der bisher beobachteten kontaktinduzierten Innovationen im
Projektgebiet angenommen oder abgelehnt werden, sondern besonders die
zugrunde liegenden Beweggründe der Akteure untersucht und die äußeren
strukturellen Kräfte identifiziert werden. Die Gegenstände der
Innovation sind vielfältig (Dinge, Praktiken, Ideologien, Sprachformen
etc.). Untrennbar verknüpft mit dem Konzept der Innovation ist der
diskursive Prozess, in dem die Beteiligten den Umgang mit Neuerungen
aushandeln. Hier sind neben strategischem Gruppenhandeln und
individuellen Handlungen auch Emergenzphänomene als Anstöße für
Innovationsprozesse denkbar.
- BROWN, P. & LEVINSON, S. 1987. Politeness: Some Universals in Language Use. Cambridge.
- GIDDENS, ANTHONY. 1992. Die Konstitution der Gesellschaft: Grundzüge
einer Theorie der Strukturierung. Frankfurt/Main und New York.
- GUDEMAN, STEPHEN. 2001. The Anthropology of Economy: Community, Market and Culture. Malden/ Mass. & Oxford.
- OPPITZ, MICHAEL. 1988. Onkels Tochter, keine sonst. Frankfurt/ Main.
- SCHLEE, GÜNTHER. 1989. Identities on the move: Clanship and pastoralism in Northern Kenya. Manchester.
- DERS. 1997. Cross-cutting Ties and Interethnic Conflict: The Example
of Gabra Oromo and Rendille. In: Fukui, K., E. Kurimoto, and M. Shigeta
(Hrsg.). Ethiopia in Broader Perspective: papers of 13th International
Conference of Ethiopian Studies, Vol. II. Kyoto: 577-615.
- STRECKER, IVO. 1988. The Social Practice of Symbolization: An Anthropological Analysis. London.
– STRECKER, I. & PANKHURST, A. 2003. „Bury the Spear“, Dokumentarfilm. IWF. Göttingen.
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